SWR2 Literatur Rezension: Wütend auf den Kapitalismus: Neues Buch des US-Senators Bernie Sanders
Ein vorsichtiger, fast harmloser Titel
In seinem neuen Buch “Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein” betreibt der 82-jährige US-Senator Bernie Sanders das, was man von ihm gewohnt ist: Kapitalismuskritik, und zwar konstruktive. Der Titel mag vorsichtig und fast harmlos erscheinen, jedoch irritiert er zunächst ein wenig. Denn ging es bei Sanders’ zwei Wahlkämpfen in den Jahren 2016 und 2020 nicht darum, dass man wütend sein muss, und dass Wut allein nicht ausreicht, sondern dass kollektive Organisierung notwendig ist, um einen demokratischen Sozialismus zu erreichen?
Sanders ist jedoch kein Befehlshaber, sondern jemand, der den Menschen helfen will, ihre eigene Handlungsfähigkeit zu erkennen. Er möchte, dass die Menschen sich aktiv für Veränderungen einsetzen.
Gegenwartsanalyse und Zukunftsskizze
Sander’s Buch “Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein” besteht aus 432 Seiten, die eine Mischung aus Gegenwartsanalyse, persönlicher Reflektion und Zukunftsskizze darstellen. Sanders zeigt auf, wie in den USA massenhaft gesellschaftliches Unglück produziert wird, sei es im Gesundheitssystem oder auf dem Arbeitsmarkt. Er nennt konkrete Zahlen wie die rund 60.000 Amerikaner*innen, die jährlich sterben, weil sie keine rechtzeitige ärztliche Behandlung erhalten, oder die halbe Million obdachlosen Menschen und die 40 Millionen, die unter der Armutsgrenze leben. Sanders sieht die Ursache für diese Zustände klar im amerikanischen Wirtschaftssystem, das von maßloser Gier von Konzernen und Machtkonzentration geprägt ist.
Kritik an kapitalistischer Machtkonzentration
Sanders nennt konkrete Beispiele wie Jeff Bezos, den Gründer von Amazon, der zum Multimilliardär werden konnte, indem er seine Beschäftigten ausbeutet, oder die Vermögensverwalter Black Rock, Vanguard und State Street, die mit ihren Investitionen nahezu jede Industrie dominieren. Dabei geht es Sanders nicht darum, individuelle Bösewichte hervorzuheben, sondern klarzumachen, dass der Kapitalismus in vielen Fällen genauso funktioniert wie geplant und nicht anders kann. Sanders bezeichnet dies als den “stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse”, wie Marx es genannt hat.
Ungewöhnliche Perspektive eines Politikers
Das Besondere an Sanders’ Buch ist die ungewöhnliche Perspektive eines Politikers, der seit 50 Jahren aktiv ist und Teil der politischen Prozesse war. Er beschreibt zum Beispiel, wie herausfordernd es war, als er in den demokratischen Präsidentschaftsvorwahlen 2020 gegen Joe Biden antrat und später seine Unterstützung für Biden erklärte, um Donald Trumps protofaschistische Regierung zu stoppen. Sanders greift nicht nur die rechtsradikalisierten Republikaner an, sondern zeigt auch den Anteil der Demokratischen Partei an den verheerenden Zuständen auf. Er verdeutlicht, dass sich die Demokraten von den Arbeitern abgewendet haben und deshalb Millionen von Wählern aus der Arbeiterschicht die Demokraten verlassen haben.
Sanders bietet glaubwürdige Alternativen
Sanders betont immer wieder, dass die Politik hinter den Bedürfnissen der Bevölkerung zurückbleibt. Die von ihm geforderten Reformen wie eine staatliche Krankenversicherung, eine Jobgarantie, eine Reichensteuer und kostenlose Bildung werden laut Umfragen bereits von der Mehrheit unterstützt. Sanders argumentiert, dass individuelle Freiheit ohne finanzielle Absicherung nicht möglich ist. Schwächer ist seine Analyse hingegen dort, wo er die europäische Politik glorifiziert.
Fazit: Neue Führungsfiguren für die amerikanische Linke nötig
Sanders’ Buch zeigt deutlich, dass er ein außergewöhnlich guter Kommunikator ist. Er spricht klar und bringt die Dinge auf den Punkt. Er bietet glaubwürdige Alternativen und zeigt die Schwachstellen der aktuellen Politik auf. Allerdings wird klar, dass Sanders aufgrund seines Alters nicht mehr ewig diese Rolle einnehmen kann. Die amerikanische Linke wird bald neue Führungsfiguren brauchen, um den Kampf für eine gerechtere Gesellschaft fortzusetzen.
(Source: Tetyana Kovyrina >>
Das Bild dient nur zur Veranschaulichung und stellt nicht die tatsächliche Situation dar.
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